Gerade in letzter Zeit ist der Verdacht auf WHS bei einigen Tierärzten erneut laut geworden. Sei es aus Unwissenheit oder aus schierer Überforderung eine passende Diagnose zu finden oder aber auch, weil einfach alle Symptome scheinbar dafür sprechen.
Bevor wir hier näher auf das Thema WHS eingehen, möchten wir eins ganz deutlich betonen: es gab nur sehr wenige vereinzelte und durch Obduktion nachgewiesene Fälle von WHS in Deutschland.
Alle Tiere, deren Diagnose bestätigt wurde, sind entweder verstorben und/oder wurden sie und ihre gesamten bekannten Blutlinien aus der Zucht genommen, sodass ein wirklicher Fall von WHS so selten bis unmöglich ist, dass es nahezu ausgeschlossen ist, dass es sich bei Verdacht tatsächlich um das Wobbly Hedgehog Syndrom handelt.
Edit: das war die Meinung bis 2020. Leider zeigen sich wieder häufige Fälle, die auch nachgewiesen wurden - bei betroffenen Tieren wurden einheitlich amerikanische Blutlinien nachgewiesen.
Natürlich kann man immer nur von den Fällen ausgehen, die auch wirklich bekannt geworden UND nachgewiesen worden sind. Diese befinden sich in Deutschland jedoch im einstelligen Bereich und sind zudem (nachgewiesen!) nach 2010 und einem Einzelfall in 2012 nicht mehr aufgetreten. Leider bestätigten sich 2020 neue nachgewiesene Fälle!
Bevor also voreilig darauf geschlossen wird, ist es ratsam, wirklich alle Differenzialdiagnosen auszuschließen und für absolute Klarheit zu sorgen, was das genaue Krankheitsbild eures Igels angeht.
Hauptsymptom ist, wie der Name schon sagt, dass der Igel wackelig auf den Beinen ist, bzw wackelt. Vielleicht kann er sich auch nicht mehr aufrichten oder fällt ständig um. Es sollten die Ursachen für diese Symptomatik erforscht werden.
Folgende Punkte sollten vollständig ausgeschlossen sein bevor die Diagnose WHS in den Raum gestellt wird/Folgende Differenzialdiagnosen (Ausschlussdiagnosen/Alternativdiagnosen) sind möglich:
Kann der Igel unterkühlt sein? Eine Unterkühlung zeigt sich nicht selten neben scheinbarem Tiefschlaf und/oder Fressunlust und anderen Symptomen auch an einem taumeligen Gang.
->fühlt den Bauch des Tieres! Wenn er sich kühl anfühlt,
sollte es als erstes gewärmt werden. Man kann den Igel unter sein T-Shirt nehmen und die eigene Körperwärme einsetzen. Andere Maßnahmen, wie eine lauwarme Wärmflasche, Rotlicht etc. sind aber
auch hilfreich. Sobald das Tier aufgewärmt ist, lässt sich feststellen, ob die Symptome von der Unterkühlung herrührten. Wenn ja, sollten dringend Schritte eingeleitet werden, um eine erneute
Auskühlung des Tieres zu verhindern!
Kann es sein, dass das Tier unbemerkt oder auch bemerkt,
eine Unfall oder eine andere Verletzung erlitten hat? Untersucht den Igel und auch seine Umgebung gründlich, um einen Unfall und dessen Folgen auszuschließen. Sind offene Wunden zu finden?
Kleinere Verletzungen? Blutet das Tier? Zeigt es Beulen oder Verfärbungen, welche auf innere Blutungen und/oder Verletzungen hinweisen? Auch die Umgebung kann Aufschluss über einen eventuellen
Unfall liefern. Sind beispielsweise Einrichtungsgegenstände beschädigt oder zeigen Blutspuren/Unfallspuren ect.
Ein
Unfall ist manchmal schnell passiert und oftmals bemerkt man es erst am seltsamen Verhalten seines Tieres. Der TA wird darüber Aufschluss bringen können. Ultraschall und/oder Röntgen kann letzten
Aufschluss bringen.
Arthritis, auch entzündliche Gelenkerkrankung, ist ebenfalls eine Möglichkeit für das Auftreten von Gangbild- und Verhaltensänderungen. Ob ein Igel an Arthritis leidet, kann nur eine gründliche Untersuchung durch einen Tierarzt zeigen.
Nicht selten leiden unsere Igel mittlerweile an tumorösen
Entartungen/Tumoren. Auch diese können neben anderen Symptomen einen wackeligen Gang/wackeln und andere neurologische Störungen hervorrufen. Auch hier hilft nur der Gang zum Tierarzt, um sich
Bestätigung zu holen.
Manchmal wickelt sich versehentlich etwas um das Bein des
Igels. So zu, Beispiel Haare, Fäden oder ähnliche Materialien, welche dem Igel bei seinem Freilauf begegnen. Auch gibt es trotz eingehenden Warnungen noch ab und an Halter, die ihren Igeln Heu
als Nistmaterial zur Verfügung stellen. Auch dieses kann sich um die Beine wickeln und so die Blutzirkulation beeinträchtigen, was das Gangbild verändert und zu einem Wackelgang führen
kann.
Auch können eingewachsenen Nägel zu Problemen führen.
Daher gilt in jedem Fall, die Beine und Nägelchen des Igels regelmäßig kontrollieren und die Auslauffläche stets sauber und kontrolliert zu halten. Auch von Heu und ähnlichen Materialien
ist dringend Abstand zu nehmen. Dem Igel sollte ebenfalls die Möglichkeit gegeben werden, seine Krallen an geeigneten Untergründen “ablaufen/abwetzen” zu
können.
Im Innenohr des Igels (wie bei fast allen Lebewesen) befindet sich das Gleichgewichtsorgan. Eine Ohrentzündung beispielsweise kann das Gleichgewicht
beeinflussen und so zu Taumelsymptomen führen.
Wenn das Tier also taumelt, sollte man auf jeden Fall bei der Untersuchung auch die Ohren
mit einschließen.
Ein weiteres Erkrankungsbeispiel, welches mit WHS verwechselt werden könnte, ist der Schlaganfall (Apoplex). Der Schlaganfall ist eine mittlerweile häufiger auftretende Erkrankung beim Weißbauchigel und zeigt, hauptsächlich bei auftretender Halbseitenlähmung (Hemiparese) ebenfalls Taumelsymptome. Beim Verdacht auf einen Schlaganfall ist umgehend ein Tierarzt aufzusuchen.
Beobachtungen haben ergeben, dass auch ältere Igel einen gewissen Taumelgang aufweisen können. Dies ist auf ihr Lebensalter zurückzuführen und keinerlei Anzeichen von WHS.
Es gibt noch weitere Möglichkeiten wie
beispielsweise entzündliche Prozesse im Körper des Tieres etc., welche Ursache für WHS ähnliche Symptome und Taumeln sein können. Genauen Aufschluss können dabei nur ein igelerfahrener Tierarzt
und ausgiebige Untersuchungen des Tieres bringen.
WHS, oder auch Taumelsyndrom, ist eine kaum erforschte, progressiv (ansteigend) – degenerative (funktionsmindernde) neurologische Erkrankung, deren Ursache bis heute ungeklärt ist. Eine erbliche Komponente bei der Entstehung der Krankheit ist naheliegend, weshalb bei einem Auftreten von WHS in einem Wurf alle betreffenden Tiere der Blutreihe ausgezüchtet werden sollten, um ein erneutes Auftreten und eine eventuelle Vererbung auszuschließen!
Wichtig: eine Obduktion ist die einzige Möglichkeit, um WHS definitiv nachzuweisen!
Solange das Tier also lebt, ist eine Vermutung der Erkrankung bei passenden vorliegenden Symptomen und keinerlei Reaktion auf Behandlungsversuche
naheliegend aber niemals definitiv.
Momentan gibt es keinerlei Behandlungsmöglichkeiten für WHS, welche die Krankheit heilen könnten. Gerade deshalb ist es wichtig, die Diagnose sorgfältig zu stellen und alle Eventualitäten mit einzubeziehen.
Jedoch kann man durch spezielle Pflege und Behandlung (beispielsweise Physiotherapie) dem Tier eine Möglichkeit geben, solange ein qualitatives Leben zu führen, wie es die Erkrankung zulässt.
Macht man bei einem an WHS erkrankten Tier Röntgenaufnahmen, können diese Verformungen der Wirbelsäule und der Gliedmaßen aufzeigen. Auch der Spinalkanal ist von dieser Verformung betroffen. Sicher ist diese Art der Diagnose jedoch nicht, da diese Symptome erst im späteren Verlauf der Krankheit auftreten. Tägliche Physiotherapie kann das Aufkommen der Verformungen vermindern.
Studien aus Amerika haben gezeigt, dass WHS hauptsächlich bei
Tieren zwischen 18 und 24Monaten auftritt. Bei diesen Studien wurde ebenfalls festgestellt, dass der Tod der betroffenen Tiere zwischen 6Wochen und 19Monaten nach Erstsymptomatik
eintrat.
Folgender Link ist sehr anschaulich und informativ (für alle, die der englischen Sprache mächtig sind):
https://vcahospitals.com/know-your-pet/wobbly-hedgehog-syndrome
Symptomatisch kann man WHS mit der Multiplen Sklerose beim Menschen vergleichen, wobei es sowohl einen rapiden Beginn, als auch schrittweises Symptomaufkommen, sowie einen relativ schnellen Krankheitsverlauf bis hin zum Tode aufweist. Oftmals zeigen sich die Symptome bei einem im Vorfeld gesunden Tier binnen weniger Tage.
Anfänglich sind meistens die Hinterbeine betroffen. Eine rapide Lähmung oder aber auch ein unkoordiniertes Gangbild tritt häufig als erstes auf. Im späteren Verlauf setzt sich die Lähmung auf die Vorderbeine und andere Körperbereiche fort.
Manchmal kann es ebenfalls dazu kommen, dass die Lähmung auf eine Körperhälfte übergeht und die Tiere dadurch Probleme mit dem Aufstehen bekommen oder überkippen. Ähnlich, wie es bei einem Schlaganfall auftritt.
Oftmals kommt es bei WHS zu Gewichtsverlust, welcher auf die Unfähigkeit beruht, den Fressnapf aufzusuchen. Die Tiere sind so geschwächt oder aber unfähig, bis zu ihrem Fressnapf zu gelangen. Sobald die Diagnose klar ist, kann diesbezüglich Abhilfe geschaffen werden, indem der Fressnapf igelnah platziert wird und das Futter angepasst.
Im späteren Verlauf der Krankheit kann es zu einer kompletten Immobilität des Tieres kommen. Spätestens jetzt ist es an der Zeit darüber nachzudenken, das Tier erlösen zu lassen, so schwer dies auch fallen mag.
In Amerika gibt es einige Erfahrungsberichte in denen von WHS
erkrankten und zum Teil komplett immobilen Igeln berichtet wird. Die Pflege dieser Igel ist -auch für die relativ kurze Zeitspanne- sehr aufwändig. Grundbaustein ist eine ausgewogene und vor
allem frische Ernährung. Bei stark erkrankten und bei den Tieren im Endstadium ist dies meist nur noch durch eine Handfütterung bzw. über eine Direktapplikation ins Mäulchen möglich. Gerade Omega
3Fettsäuren und speziell dosierte Vitaminzusätze zeigen einen geringfügigen Erfolg zu zeigen.
Zur Stabilisierung der Tiere,
beispielsweise beim Fressen, sofern dies noch möglich ist, werden Handtuchrollen o.ä. verwendet.
Tägliche Massage und Physiotherapie sollen dem Tier Erleichterung schaffen.
Nichts desto trotz, ist WHS eine immer tödlich verlaufende Krankheit. Man sollte sich daher also immer bewusst machen, dass mit der Diagnose auch ein Abschied einhergeht! Wichtig finden wir ein tierbezogen qualitatives Leben. Wenn dies also nicht mehr der Fall ist, sollte man immer bereit sein, zum Wohle des Tieres, seinem Leben ein Ende zu setzen, so schwer es einem fällt.
Hoffen -und arbeiten wir also weiter darauf
hin-, dass WHS als Krankheit in Deutschland weiter nahezu ausgestorben bleibt. Den Tieren und ihren Haltern zuliebe.
© Katharina
Müller-Sauck, EHCE e.V.
(Dieser Beitrag darf selbstverständlich weitergereicht und zu
Informationszwecken verwendet/übernommen werden. Wir weisen darauf hin, dass der Copyright beim Verfasser und dem EHCE e.V. liegt und stets mit benannt werden muss.)